Einsamer Tod in Japan: Kodokushi

Tod in Einsamkeit: Die Miniaturwelten von Miyu Kojima aus Japan

Miyu Kojima aus Japan entwirft Miniaturmodelle von Zimmern, in denen Menschen einsam und alleine verstorben sind. In mühsamer Handarbeit gefertigt, werfen ihre Arbeiten ein Licht auf ein Phänomen, das in Japan längst zum traurigen Alltag geworden ist.

Es ist kein einfacher Job, den die Japanerin Miyu Kojima ausgewählt hat. Sie ist immer dann zur Stelle, wenn Menschen sterben und niemanden haben, der sich um ihre Habseligkeiten kümmert oder hinter ihnen aufräumt. Im Auftrag des Unternehmens ToDo-Company reinigt und desinfiziert Kojima nicht nur die Wohnungen und Häuser, in denen jemand verstorben ist. Sie ordnet und sammelt auch die Hinterlassenschaften der Toten, damit diese später recycelt oder verkauft werden können.

Kodokushi – Wenn Menschen einsam und alleine sterben

Kodokushi nennen die Japaner den Tod in Einsamkeit. Das jemand einsam und alleine verstirbt, ohne vermisst zu werden, ist ein immer häufigeres Problem in Japan. Unternehmen wie die ToDo-Company, die auf die Reinigung und Entrümpelung von Toten spezialisiert sind, gehören hier zu einem rasant wachsenden Geschäftszweig.

Angesichts niedriger Geburtenraten und einer hohen Lebenserwartung altert Japan so schnell wie keine andere Industrienation. Mehr als ein Viertel der Bevölkerung ist inzwischen über 65 Jahre alt. Viele von ihnen leben auf sich allein gestellt. Die Gründe dafür liegen nicht nur in der Abwanderung junger Menschen in die Großstädte. Auch die fortschreitende Individualisierung, die Arbeitskultur und tiefgreifende Veränderungen der Sozial- und Familienstruktur sind daran schuld, dass allein lebende Menschen – allen voran Senioren – oft nicht mehr auf die Unterstützung Angehöriger zurückgreifen können.

Der Tod in Einsamkeit bleibt oft wochenlang unbemerkt

Stirbt jemand einen einsamen Tod, dann kann dieser oft wochen- oder monatelang unentdeckt bleiben. Für Miyo war die längste Zeit 8 Monate. Sie reinigt auch das Zuhause von Menschen, die im Krankenhaus verstorben sind, ermordet wurden oder Selbstmord begingen.

Nach dem Abtransport der Leichen, schrubbt sie mit ihren Kollegen die Wohnungen und Häuser und sortiert die Habseligkeiten der Toten. Miyu betet für die Toten und hofft, dass diese in Frieden ruhen können. Sie ist auch dafür verantwortlich, mit den Hinterbliebenen zu sprechen – wenn es welche gibt. Ihnen übergibt sie auch die Hinterlassenschaften der Toten. Lehnen diese das ab, so werden die Gegenstände für ein letztes Gebet in einen Tempel gebracht und anschließend verbrannt.

Kunst als Fenster in menschliche Beziehungen und ihre Abgründe

In einem Interview mit All Jazeera verrät Miyu Kojima, dass ihre Arbeit auch eine Art Fenster in menschliche Beziehungen sei. “Ich sehe Menschen, die sich nicht im Geringsten für ihre Eltern oder Familienangehörige interessieren und die auch nach ihrem Tod nichts empfinden. Sie werfen nicht mal einen Blick auf ihre Erinnerungsstücke und Habseligkeiten. Aber sobald sie Geld finden oder sehen, dann reißen sie es sofort an sich”.

Um ihre Arbeit professionell zu veranschaulichen, kam die Japanerin anfangs auf die Idee, die Zimmer nachzustellen. Fotos wären zum Einen zu makaber und zum Anderen wären Sie ein respektloser Eingriff in die Privatsphäre der Verstorbenen.
Stattdessen entwirft sie Miniaturmodelle von Räumen, in denen Menschen verstorben sind.Einsamer Tod in Japan

Die Leichen sind weg, aber hyperrealistische Details verraten, dass hier jemand kurz zuvor verstorben ist: befleckte Decken, Ungeziefer, dunkle Schatten auf dem Boden oder die Überreste von verstorbenen Haustieren. Dem Guardian sagt Kojima, dass der Tod oft als dunkle Seite unseres Lebens wahrgenommen werde und dass jeglicher Bezug zu ihm von den Menschen gemieden und versteckt wird. Sie wolle, dass die Menschen durch ihre Arbeiten der Realität ins Auge schauen.

Bis ins kleinste Detail

Dafür hat die Japanerin Räume in akribischer Detailarbeit zum Leben erweckt. Die Bücherregale sind mit Bänden über Biochemie oder Harry Potter bestückt und an den Wänden hängen Fotos von Vorfahren. Ihre Kunst hat sich Kojima selbst beigebracht. Sie hat nie eine handwerkliche Ausbildung gemacht oder dergleichen. Lediglich YouTube und das freie Experimentieren haben ihr geholfen. Dem Guardian sagt Kojima, dass sie anfangs nur vorgefertigte Möbel für Puppenhäuser verwendete. Nach und nach fing sie aber an, ihre eigenen Möbel zu entwerfen.

Kodokushi - Der einsame Tod in Japan von Miyu Kojima
© Miyu Kojima via Spoon & Tamago

Für die Familien der Verstorbenen ist es oft ein großer Schock, dass die Toten so lange unentdeckt blieben. Wie oft rufen Menschen ihren betagten Vater oder ihre Mutter an? Zwischen ihren Anrufen können manchmal Tage, Wochen oder sogar Monate liegen? Für Kojima macht einem erst der Tod deutlich, wie wichtig eine Person im eigenen Leben war. Ihre Kunst soll die Menschen auch dazu anregen, an ihre Angehörigen zu denken, häufiger zu kommunizieren und Beziehungen aufrecht zu halten, bevor es womöglich zu spät ist.