Intime Porträts von Transgender-Communities in Südostasien

Fotografin Grace Baey im Interview

Mit ihren einfühlsamen Bildern gibt die in Singapur geborene Fotografin Grace Baey seltene und intime Einblicke in die Vielfalt von Transgender-Communities in Myanmar, Singapur und Kambodscha.

Seit Jahren dokumentiert Grace Baey das Leben von jungen Menschen, deren körperliche Anatomie nicht mit der geschlechtlichen Identität übereinstimmt. In Südostasien ist der Alltag von Transgendern häufig von Demütigungen, Diskriminierung und Gewalt geprägt. Neben der rechtlichen Lage ist die gesellschaftliche und vor allem familiäre Akzeptanz vom “Anderssein” wenig verbreitet. Nicht selten leben Anhänger der Transgender-Gemeinde am Rande der Gesellschaft und müssen ihre sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität verstecken.

Was bedeutet es, im falschen Körper geboren zu werden und wie sieht der Lebensalltag von Transgender-Communities in südostasiatischen Ländern aus? Die Fotografin Grace Baey aus Singapur hat sich diesem Thema gewidmet und die Geschichten und Schicksale der Menschen porträtiert. Ihre einfühlsamen Fotoserien erzählen auch von der Widerstandsfähigkeit der Gemeinschaften, sowie von Netzwerken der sozialen Unterstützung, die sie aufgebaut haben. 

Auf den Bildern der Fotografin sind die Protagonisten in Alltagssituationen zu sehen. Die Aufnahmen wurden in vertrauten Umgebungen gemacht. Aus Angst vor Anfeindungen und Diskriminierung sind nur wenige bereit, ihre Geschichten zu offenbaren. Für Baey, die selbst eine Zeit lang an einer Geschlechtsidentitätsstörung litt, bedeutete dies, sich Zeit zu nehmen, langsam Vertrauen aufzubauen und den Menschen ihre eigene Geschichte zu offenbaren.

Für das Fotoprojekt hat Grace ihren Protagonisten die Möglichkeit gegeben, ihre persönliche Geschichte selbstbestimmt in Wort und Bild zu erzählen. Ein Dokument ihrer Realität zu schaffen, gibt den Menschen ihre Identität und Würde zurück und unterstützt sie in ihrem Gefühl der Selbstermächtigung. 

Im Interview mit xPlicitAsia spricht Grace Baey über ihren persönlichen Werdegang, ihre Annäherung an die LGBTQ-Gemeinde und über ihre Fotoserien (Un)bound und Living Choices.

Grace, du hast vorher in der Forschung an der National University of Singapore gearbeitet. Wie bist dazu gekommen, Vollzeit in die Fotografie einzusteigen?

Ich bin im kleinen Inselstaat Singapur geboren und aufgewachsen. Bilder haben mich schon von kleinauf fasziniert und ich kann mich noch erinnern, wie ich mit großem Interesse durch Magazine wie z.B. National Geographic blätterte. Sie waren für mich damals ein Tor zur Welt. Obwohl ich mich immer sehr für Bilder interessierte, hätte ich nie gedacht, dass ich selbst mal welche machen würde. Erst sehr viel später setzte ich mich intensiv mit der Fotografie auseinander.

Als Wissenschaftlerin bin ich immer an kritische Auseinandersetzungen und Herangehensweisen gebunden, wenn ich mich einem Thema nähern will. Daher war ich erstmal unsicher, was Repräsentation und die damit verbundene Politik der Bildgestaltung angeht. Diese Unsicherheit hat mir sicherlich den ersten Einstieg in die seriöse Fotografie erschwert. Als ich aber in die Forschungskommunikation wechselte, realisierte ich, dass die Fotografie ein immenses Potenzial hat, sofern man kritisch und verantwortungsbewusst mit ihr umgeht. Die Möglichkeiten, ein breiteres Publikum zu erreichen und mit ihm im Kontakt zu treten, brachten mich dazu, mich ganz der Fotografie zu widmen.

Wie würdest du deinen persönlichen Stil definieren und was möchtest du mit deinen Bildern ausdrücken?

Ich bin mir nicht sicher, ob ich über einen bestimmten Stil an sich sprechen kann. Aber immer wiederkehrende Konstanten in meinen Projekten sind die Werte menschlicher Verbindungen und Authentizität. Die Fotografie ist meine Art der Begegnung und meine Art des Lernens über die Welt. Ich möchte, dass meine Bilder diesen Geist widerspiegeln. Sie sollen dazu verleiten,  etwas zu fühlen und Menschen miteinander zu verbinden. Ein Großteil meiner Arbeit beschäftigt sich mit mit den zentralen Themenkomplexen Herkunft, Zugehörigkeit und Identität. Insbesondere von ausgegrenzten Bevölkerungsgruppen in Südostasien. Mein Ausgangspunkt ist immer die Frage: Wie werden diese Gemeinschaften wahrgenommen und repräsentiert? Was können wir von ihnen lernen? Was könnte es für Schwachpunkte geben und wie können wir tiefer unter der Oberfläche graben?

In deinen 4 Fotoserien fängst du den Alltag und das Liebesleben der Transgender-Gemeinschaften in Singapur und Südostasien ein. Was hat dich dazu inspiriert, die LGBTQ-Communities zu porträtieren?

Mein erster Kontakt mit der Transgender-Gemeinschaft in Singapur kam zustande, als ich auf Einladung eines Freundes einen jährlichen Schönheitswettbewerb fotografieren sollte. Ich erinnere mich, dass ich zu diesem Zeitpunkt noch absolut keine Ahnung und wenig Vorwissen über Trans-Themen hatte. So nahm ich mir die Zeit und beteiligte mich an ähnlichen Initiativen, nur um mehr darüber zu erfahren. Da ich selbst seit jungen Jahren mit einer Geschlechtsidentitätsstörung zu kämpfen hatte, konnte ich mich stark mit den emotionalen Erfahrungen und Erlebnissen identifizieren, die Transgender und Queere Personen durchlaufen. Die Fotografie ist meine Art, diese Themen zu erforschen und sich damit auseinanderzusetzen. Da ich enge Freunde in der LGBTQ-Community habe, war es mir wichtig, ihre Geschichten mittels einer gemeinsamen Herangehensweise zu erzählen.

Intime Porträts der Transgender-Community in Südostasien
Htet Htet betreibt einen Schönheitssalon in Yangon, Myanmar. Neben Schönheitsbehandlungen bietet der Salon auch einen sicheren Rückzugsort für jugendliche Anhänger der LGBT-Gemeinde.

In deinen Serien (Un)bound und 8 women porträtierst du das Leben von Trans-Frauen und Männern, die in Singapur leben. Auch wenn die öffentliche Meinung und Gesetze aus der Kolonialzeit einige Menschen immer noch daran hindern, ihre Sexualität auszuleben, gewinnt die Gesellschaft langsam an Akzeptanz gegenüber der LGBTQ-Gemeinschaft. Was ist deiner Meinung nach notwendig, um das Bewusstsein weiter zu schärfen und Vorurteile abzubauen?

In Singapur gibt es nach wie vor ein erhebliches Maß an Unwissenheit und Missverständnissen in Bezug auf Fragen der Geschlechteridentität und Sexualität. Insbesondere bei konservativen Gruppen. Ich habe oft gehört, wie Leute Transgender oder homosexuelle Identitäten als eine Art ‘Lifestyle-Wahl’ oder Vorliebe beschreiben. Was natürlich ein großes Missverständnis ist.

Für viele Trans-Personen, wie ich weiß, ist der Prozess der Transformation keine Wahlmöglichkeit, sondern eine Unvermeidlichkeit. Es sind enorme Kosten, die diese Menschen auf sich nehmen, um das zu sein was sie sind. Sei es physisch, emotional, sozial oder finanziell. Niemand würde einfach der Sache halber entscheiden, all diesen Aufwand auf sich zu nehmen. Viele dieser Missverständnisse resultieren aus einem mangelnden Dialog und fehlendem Verständnis gegenüber Fragen der Geschlechtsidentitätsstörung. Auch für die emotionalen Erfahrungen, die Transmenschen durchleben, haben nur die Wenigsten Verständnis. Wir brauchen weitaus mehr öffentliche Plattformen für die Sensibilisierung für LGBTQ-Themen und weniger Überwachung.

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Chris ist eine Transfrau aus Bahan Township in Myanmar. Sie ist kürzlich zu ihrem Großvater nach Yangon gezogen, nachdem ihre Verwandten sie unter Druck setzten, endlich ein “normales” Leben als heterosexueller Mann zu führen

In deinen Bilder-Serien fotografierst du Menschen in sehr intimen Momenten. Wie näherst du dich deinen Protagonisten und wie gewinnst du Vertrauen?

Von Beginn an möchte ich den Personen, mit denen ich zusammenarbeite, das Gefühl geben, dass sie die gleiche Kontrolle über den Prozess der Bilderstellung haben, wie ich als Fotografin. Ich halte zwar die Kamera, aber sie müssen nichts offenbaren, was sie nicht wollen. Auch haben sie jedes Recht, zu bestimmten Bildern “Nein” zu sagen.

Meine Arbeit ist stets ein reflektierter Prozess. Wenn ich jemanden fotografieren möchte, dann führe ich zunächst ein langes Gespräch mit dieser Person. Ich möchte zum Beispiel wissen, was sie für Ziele hat, wie sie sich die Zusammenarbeit vorstellt und welche Erwartungen sie an mein Projekt hat. Daraufhin sprechen wir darüber, welche Art von Bildern sinnvoll für uns wären.

Feedback ist mir extrem wichtig. Manchmal sagen die Personen: “Ich würde es vorziehen, nicht so fotografiert zu werden” oder “Lass uns das nicht tun, weil ich in dieser Art von Bildern nicht viel Wert sehe”. Diese Gespräche helfen mir zu verstehen, woher die Menschen kommen und wie sie ihre Geschichten wahrnehmen. Zusätzlich bietet es mir wertvolle Einblicke, was die Gestaltung einer Geschichte angeht. Es braucht viel Mut, in intimen Momenten fotografiert zu werden. Deshalb versuche ich, so viel wie möglich von meiner eigenen Verwundbarkeit zu offenbaren, damit die Menschen mit denen ich arbeite wissen, dass sie während des Prozesses nicht alleine sind.

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Nicole gibt ihrem Make-Up den letzten Schliff, bevor sie sich mit Freunden trifft, um gemeinsam um die Häuser zu ziehen

Gibt es ein bestimmtes Erlebnis beim Fotografieren, woran du dich gerne erinnerst? Oder ein Bild mit einer besonders emotionalen Hintergrundgeschichte?

Ich war immer sehr skeptisch, ob ein einzelnes Bild wirklich etwas bewirken kann oder nicht. Aber wenn daraus etwas Magisches entsteht, lässt es einen in Ehrfurcht erstarren. Im Februar 2016 hatte ich ein solches Erlebnis, als ich für eine Geschichte über die ‘Positive Living Community’ in Malaysia eine Person porträtierte. Diese Gemeinschaft bietet Menschen mit HIV Schutz und die Möglichkeit der Sucht-Rehabilitation. Als ich Herrn Tan zum ersten Mal traf, erzählte er mir, dass er seine Familie seit 12 Jahren nicht gesehen hatte. Er konnte einfach nicht genug Mut aufbringen, sie zu kontaktieren, nachdem er von seiner HIV-Infektion erfahren hatte. Obwohl er damit einverstanden war, dass Fotos von ihm aufgenommen wurden, habe ich mit mir gerungen, seine Bilder zur Veröffentlichung einzureichen. Herr Tan teilte mir schließlich seine Gefühle im Vertrauen mit und wer bin ich, sie öffentlich zu machen? Besonders da er seine persönliche Geschichte jahrelang zurückhielt.

Nach Rücksprache mit der Organisation beschlossen wir letztendlich gemeinsam, die Bilder doch zu veröffentlichen, da sie ein wichtiger Teil der Geschichte sind. Kurz nach der Veröffentlichung des Foto-Essays sah jemand das Bild und beschloss, Herrn Tan mit seiner Familie zu vereinen und dabei zu filmen. Später hatte ich die Freude, Herrn Tan zusammen mit seiner älteren Schwester Agnes zu treffen, die seit Jahren versuchte, ihn zu finden. Zu sehen, wie er über seine Erfahrungen sprach und sich auf einem öffentlichen Podium für mehr HIV-Bewusstsein einsetzte, war Gold wert und hat mich emotional sehr berührt.

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Sonia entspannt sich in einer lokalen Bar in Singapur

In welcher Weise glaubst du, dass deine Fotografie zur LGBTQ-Community beiträgt?

Für meine jüngste Ausstellung (Un)bound, ein gemeinschaftliches Projekt über Transgender-Identitäten in Singapur, haben wir ein Gästebuch eingerichtet. Dort konnten die Besucher ihre Gedanken und Reaktionen zur Ausstellung hineinschreiben und ich war sehr berührt von der Fülle herzlicher Nachrichten. Insbesondere von Einzelpersonen der LGBTQ-Gemeinschaft. Ein gemeinsames Anliegen war u.a., dass sich die Menschen ermutigt dazu fühlen, ihre Geschichten und Erfahrungen in einem öffentlichen Raum darzustellen. Das gibt mir eine große Bestätigung. Die Menschen wollen ihre Geschichten erzählen, und ich hoffe, dass die Projekte, an denen ich arbeite, dazu beitragen werden, eine Plattform zu schaffen, auf der diese Stimmen in größerem Umfang gehört werden können.

Gia und Liea posieren für ein Porträt, während sie den jährlichen Miss Tifanny Transgender Schönheitswettbewerb in Singapur vorbereiten.

Gibt es Künstler – egal aus welchem Bereich – die deine Arbeit und Kreativität inspirieren?

Queere Künstler wie Jess Dugan und Ryan Pfluger inspirieren mich mit ihrer Feinfühligkeit und Fähigkeit, Emotionen einzufangen. Meine ersten Erfahrungen mit der dokumentarischen Fotografie machte ich durch die Arbeit von Sebastiao Salgado. Seine Arbeitsmoral treibt mich an. Wenn man fotografiert, sagt er: “…macht man nicht nur das Bild. Sie erhalten das Bild. Sie geben dir das Bild…[…] Die Kamera wird fast wie ein Mikrofon, mit dem die Menschen ihre Probleme an die Öffentlichkeit bringen können. Die Fotografie unterliegt einer großen Verantwortung.” Für meine Arbeit als Fotografin halte ich an dieser Überzeugung und an diesem Glauben fest.

Grace, hast du bevorstehende Projekte oder Ausstellungen, die du mit uns teilen möchtest?

Ich plane meine Foto-Serien (Un)bound und Living Choices über die Jahre hinweg fortzusetzen und zu erweitern. Ich möchte noch mehr Menschen damit ansprechen und hoffentlich irgendwann in der Lage sein, eine gemeinschaftliche Ressource oder Art Zine mit diesen Geschichten zusammenzustellen. Das gilt insbesondere für meine (Un)bound-Serie.

Myanmar | Mitglieder der Transgender-Tanzgruppe Moe Goe Nyan Gyer (Bedeutung: Thunder Little Birds), die sich im Backstage-Bereich auf ihre Performance vorbereiten
Transmann Jose ist aus seinem Elternhaus ausgezogen, weil er die Kommentare seines Vaters nicht mehr hören wollte. “Mein Vater bricht mir meinen Stolz”, so Jose. “Jedes Mal wenn ich nach Hause komme, meckert er an mir herum und lässt mich wissen, wie sehr er sich dafür schämt, dass die Leute sich ständig fragen, warum mein Bart so anders aussieht”
Chris hat eine angespannte Beziehung zu ihrem Großvater, den sie sehr liebt. Einerseits erlaubt er ihr zuhause Make-Up zu tragen. Andererseits macht er sich große Sorgen um Chris’ Zukunft und hat Probleme nachzuvollziehen, warum sie sich dazu entschieden hat, voll und ganz zur Frau zu werden.

Grace Baey
Homepage: www.gracebaey.com
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