Chen Yingjie aka Hua Tunan – Der Bruce Lee der chinesischen Kunst

Wenn Graffiti auf chinesische Malerei trifft

Wie kein anderer steht der chinesische Künstler Chen Yingjie (alias Hua Tunan) für die kunstvolle Verschmelzung traditionell chinesischer Malerei mit der im Westen geborenen Kunstform des Graffiti. Geboren 1991 im chinesischen Foshan, hat ihn seine unbestrittene technische Kompetenz zu einem der einflussreichsten zeitgenössischen Künstler Asiens gemacht.

Chen Yingjie malt atemberaubende Bilder, sowohl auf riesigen Leinwänden, als auch auf Betonfassaden. Seine Farben trägt der junge chinesische Künstler mit diversen Mitteln und Methoden auf. Dabei springt er, nimmt Anlauf, tanzt und bewegt seinen Körper in rhythmischen Bewegungen. Es ist eine einzigartige Mischung aus Action-Painting und abstrakter Splatter-Technik, die der Künstler für sich beansprucht. Seine Motive sind kraftvoll und dynamisch. Bei längerer Betrachtung scheinen sie aus dem Rahmen zu springen. Lässt man seinen Blick schweifen, dann findet man immer wieder neue, bisher unentdeckte und atemberaubende Details.

Was hat chinesische Malerei mit Graffiti und Streetart zu tun?

Yingjie fängt den lauten und unberechenbaren Stil des Graffiti ein, während ein genauerer Blick die Feinheiten der Pinselführung aufdeckt und sein scharfes Auge für Details und Texturen offenbart. Ausgebildet in der klassischen chinesischen Malerei beginnt der junge Chen Yingjie sich nach seinem Studium für die im Westen entstandene Kunstform des Graffiti zu begeistern. Es ist die Unbeständigkeit und die künstlerische Freiheit von Streetart, die den jungen Chinesen in seinen Bann ziehen.

Bruce Lee als künstlerische Inspiration

Ähnlich wie sein künstlerisches Vorbild Bruce Lee, einer der größten Kampfkünstler unserer Zeit, vertritt Chen Yingjie die Auffassung, dass die (Kampf)Kunst frei von Dogmen, Regeln und Bedingungen praktiziert werden sollte. Getreu Bruce Lee’s Maxime „Leere deinen Geist. Werde formlos und gestaltlos – wie Wasser…“ sieht Chen seine Kunst als fließend, anpassungsfähig und frei an. An nichts gebunden, kann sie alle Wege in sich aufnehmen und Techniken anwenden, die ihrem Zweck dienen.

Basierend auf diesem Denken entwickelte Chen Yingjie über Jahre seinen so unverwechselbaren Stil, der die chinesische Tuschemalerei mit dem westlichen Graffiti vereint. Diese einzigartige Verschmelzung zweier so unterschiedlicher Kunstformen hat bereits die Aufmerksamkeit von namhaften Unternehmen und Brands wie Adidas, Cartier, Louis Vuitton, Volvo und BMW auf sich gezogen.

Chen Yingjie aka Hua Tunan - Der Bruce Lee der chinesischen Kunst
再造乾坤-第三号

Von gespritzter Tinte und Tieren als wichtigste Vertreter der Natur 

Darüber hinaus hat sich der junge Chinese auch einen Namen als prominenter Spezialist für die realistische Darstellung von Tieren gemacht. Mit seinen Werken, die Häuserwände und Galerien in den USA, Europa und Asien schmücken, bringt Chen Yingjie die Natur zurück in den Großstadtdschungel. Majestätische Tiger, Raubvögel und Pandas gehören ebenso zum Repertoire wie Elefanten. Mit viel Liebe zum Detail bringt der Künstler diese allgegenwärtige Mischung aus Kraft und Schönheit der Natur hervor und erweckt ihre Vertreter zum Leben. Lebhaft und atemberaubend dargestellt, ermöglichen sie dem Betrachter ein längeres Eintauchen in das Gesamtkunstwerk. Für den Künstler ist es essenziell, die Natur in all ihrer Majestät darzustellen – unbestritten kraftvoll und schön wie sie ist.

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一脉 (One Pulse)

Die Natur- und Tiermotive sind aber auch eine visuelle Aufforderung an den Menschen, unsere Natur nicht weiter zu zerstören und das ökologische Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur zu wahren.

Im exklusiven Interview mit xPlicitAsia spricht der chinesische Künstler über seinen Werdegang, Quellen seiner Inspiration und über künstlerische Freiheiten.

Chen Yingjie, kannst du uns etwas über deinen künstlerischen Werdegang erzählen? Wann hast du damit angefangen, Streetart zu machen?

Es war mein Vater, der mich gewissermaßen zur Kunst brachte und den ich als meine maßgebliche Inspiration bezeichnen würde. Als ich 6 Jahre alt war, lehrte er mir die traditionelle chinesische Malerei. Die chinesische Tuschemalerei legte den Grundstein für mein heutiges künstlerisches Schaffen. Nach meinem Studium in Singapur im Jahr 2011, begann ich mich zunehmend mit Streetart aus Europa und den USA zu beschäftigen. Diese im Westen geborene Kunstform war so anders, als das, was ich bisher kannte und das faszinierte mich.

Ich begann, mich zunehmend mit ausländischen Künstlern zu “connecten”, um noch mehr über Streetart zu erfahren. Basierend auf meiner Ausbildung in der traditionell chinesischen Malerei wollte ich herauskriegen, wie man die chinesische Tuschemalerei und westliche Straßenkunst am Besten miteinander vereint. Für mich spiegelt die äußerst wirkungsvolle Kunstform Graffiti in gewisser Weise einen freiheitlichen Geist wider. Dieses Denken steht auch im Zentrum meines eigenen künstlerischen Schaffens.

Chen Yingjie aka Hua Tunan - Der Bruce Lee der chinesischen Kunst
破玄云

2015 wurden meine Werke erstmals in Chicago ausgestellt. Für mich war es sehr interessant, dass die Amerikaner in meinen Bildern sofort den fernöstlichen Einfluss erkannten und die Chinesen die westlichen Elemente. Die Welt des Graffiti kennt keine Grenzen, die chinesische Malerei ist sehr tolerant. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, die besten Elemente beider Kunstformen miteinander zu verbinden. Das beeinflusst nicht nur meine kreativen Fähigkeiten, sondern auch meinen künstlerischen Wirkungsprozess.

Dein persönlicher Stil verbindet die traditionell chinesische Tuschemalerei mit Streetart. Welche Botschaft möchtest du mit der Verschmelzung dieser gegensätzlichen Stile vermitteln?

Dieser Stilverschmelzung ist meine eigene Interpretation unseres gegenwärtigen Zeitalters. In unserer globalisierten Welt fließt Kultur über Ländergrenzen, Zeit und Raum hinweg – sie ist quasi grenzenlos geworden. Bedingt durch das Internet und die fortschreitende Digitalisierung findet ein Austausch der verschiedensten Kulturen statt. Das führt dann zu einer Vermischung unterschiedlicher kultureller Stile, Formen und Traditionen. Ich sehe meine Aufgabe darin, die traditionelle chinesische Tuschemalerei mit der im Westen entstandenen Straßenkunst auf möglichst harmonischste Weise miteinander zu verbinden.

Chen Yingjie aka Hua Tunan - Der Bruce Lee der chinesischen Kunst
振翅纠征尘

Für mich folgt die Interaktion und Verschmelzung dieser beiden Kunstformen der Tai Chi Philosophie, also dem Prinzip der Harmonie universeller Gegensätze.

Die Art und Weise, wie du deine Bilder malst, kann als eigene Kunstform bezeichnet werden. Wie du deine Farbe aufträgst, ist sehr experimentell. In welcher Weise spiegelt dieser Prozess deine Persönlichkeit wider?

Die Art und Weise, wie ich Farben auf Leinwände auftrage, entspricht meiner gegenwärtigen Stimmung und meinen Emotionen. Auch der Raum spielt dabei natürlich eine Rolle. Es gibt immer eine Wechselwirkung zwischen Mensch und Raum. Dabei ist es wichtig, dass das Energiefeld eines Raumes nicht gestört wird, so dass die Energie frei und kraftvoll fließen kann. Das wiederum hat einen immensen Einfluss auf meine Kreativität.

Chen Yingjie aka Hua Tunan - Der Bruce Lee der chinesischen Kunst
破玄云-夏威夷当代艺术博物馆 (Broken Clouds – Hawaii Museum of Contemporary Art)

Du arbeitest nicht nur mit bloßen Händen, du nutzt auch verschiedene Werkzeuge, Spraydosen, Bürsten und sogar eine Bohrmaschine. Wie bist du auf die Idee gekommen, so diverse Mittel zu nutzen?

Traditionelle Techniken und Kunstformen unterlaufen in unser globalisierten Welt einen Prozess der ständigen Veränderung. Das versuche ich in meiner Kreativität auszudrücken. Dass ich diverse Techniken und Mittel verwende, ist zugleich auch Teil meiner künstlerischen Identität und Freiheit.

Dein schöpferischer Prozess gleicht einer Ganzkörper-Performance.. Du springst, wirfst mit Farben und bewegst deinen Körper in verschiedenen Rhythmen. Was ist Teil deines kreativen Prozesses und welchen Einfluss hat die Musik?

Jedes meiner Werke spiegelt einen anderen Gemütszustand. Für mich ist die Malerei ein natürlicher Prozess, in dem ich mich frei fühle. Musik inspiriert mich dabei. Während ich male, höre ich Hip Hop, Klassik, Bob Dylan, alles Mögliche. Jeder Künstler, jeder Song ruft unterschiedliche Emotionen in mir hervor und das spiegelt sich letztendlich auch in meinen Bildern.

Chen Yingjie aka Hua Tunan - Der Bruce Lee der chinesischen Kunst
夜明珠 (Night luminescent Pearl)

Du nutzt häufig Gold, Schwarz, Gelb, Blau und Rot. Haben diese Farben eine besondere Bedeutung für dich?

Nein, diese Farben haben eigentlich keine besondere Bedeutung für mich. Was die Farbwahl betrifft, so habe ich keine festen Schemata oder Regeln. Ich lasse mich da wirklich von meinen Emotionen leiten.

Chen Yingjie aka Hua Tunan - Der Bruce Lee der chinesischen Kunst
醉意 (Fearless)

Tiere sind ein wiederkehrendes Thema in deinen Werken. Gibt es eine Botschaft, die du damit ausdrücken möchtest?

Die Augen meiner Tiere spiegeln auch mein Inneres. Und das kämpft mit den Auswirkungen der menschlichen Zerstörung unserer Umwelt. In gewisser Weise kann man meine Kunst auch als kritische Perspektive auf wachsende Umweltprobleme und ihre Auswirkungen auf das Reich der Tiere verstehen. Ich hoffe, dass meine Werke einen konstruktiven Dialog anregen.

Chen Yingjie aka Hua Tunan - Der Bruce Lee der chinesischen Kunst
残余的温度 (Residual Temperature)

Dein Studio befindet sich in Foshan. Kannst du uns etwas über die Kreativszene der Stadt erzählen?

Auch wenn es hier eine lebendige Kreativszene gibt, so befindet sich die Streetart-Szene noch in ihren Kinderschuhen. Ohne sie wäre es hier allerdings langweiliger. Als Kunst im öffentlichen Raum verändert die Straßenkunst unser Bild von einer Stadt. Ein Künstler hat einmal gesagt, dass Streetart ganze Städte und Straßenzüge in eine öffentliche Galerie verwandelt. Ich denke, dass die meisten Kreativen dieser Aussage zustimmen.

Die Kunstform Graffiti hat es mir ermöglicht, in fremde Länder zu reisen, mit unterschiedlichen Menschen zusammenzuarbeiten und auch neue Perspektiven auf meine Heimat zu entwickeln. Streetart ist in gewisser Weise unangepasst, experimentierfreudig und frei. Sie ist für jeden Menschen zugänglich, lässt sich anders und vor allem überall erleben.

Im Gegensatz zur klassischen Malerei, die in einem geschlossenen Raum entsteht und dann in Galerien ausgestellt wird, interagiert Straßenkunst direkt mit einer Stadt und ihren Einwohnern. Auch wenn viele Menschen sie als Vandalismus ansehen, so ist sie doch ein wichtiger Beitrag für den öffentlichen Raum und erlaubt neue Perspektiven auf einen Ort.

Chen Yingjie aka Hua Tunan - Der Bruce Lee der chinesischen Kunst
残余的温度 (Residual Temperature)

Kannst du uns Künstler nennen, die deine Kunst und Kreativität inspirieren?

Ja, Bruce Lee zum Beispiel. Ich schätze ihn sehr. Als Kampfkünstler hat er sich von Regeln, doktrinären Stilen, sinnlosen Traditionen und festgeschriebenen Techniken befreit und Jeet Kune Do (zu Dt. “Weg der abfangenden Faust”) ins Leben gerufen. Auch ich bin ein starker Befürworter der künstlerischen Freiheit. Meine Kreativität und mein Stil sollen sich fließend weiterentwickeln.

Gibt es irgendwelche anstehenden Projekte, über die du unsere Leser informieren möchtest?

In naher Zukunft möchte ich meinen Schöpfungsprozess weiter ausweiten und verschiedene Dinge ausprobieren. Zum Beispiel wäre es auch interessant, mit Hilfe eines fahrenden Autos Farbe aufzutragen oder verschiedene technische Geräte miteinander zu kombinieren. Dabei sollen zum Beispiel auch Baustellenwerkzeuge und diverse Flugobjekte zum Einsatz kommen.

Zu guter Letzt würden wir uns freuen, wenn du uns ein paar “Quick Fire Questions” beantworten könntest:

Das Land, das dich auf Reisen am Meisten beeindruckt hat? Die Schweiz

Dein Lieblingsort in Foshan? Meine eigenen vier Wände und mein Studio

Dein Lieblingsessen? Schokolade

Dein Lieblingsartist / Band / Crew? Yohji Yamamoto, Bruce Lee, der chinesische Künstler Zao Wou-Ki, Bob Dylan und viele mehr…

Kannst du uns ein paar aufstrebende chinesische Streetart-Künstler nennen, die definitiv Aufmerksamkeit verdienen?
DALeast aus Wuhan

 

Webseite: www.huatunan.com
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