Rap aus dem Land der aufgehenden Sonne – Von den Anfängen in den frühen 80er Jahren bis in die Gegenwart, wo sich das japanische Rap Game lange von seinen US-amerikanischen Vorbildern emanzipiert hat und einen eigenen Stil zelebriert. Im ersten Teil unserer ‘HIP HOP IN JAPAN’ Reihe erfahrt ihr alles über die Anfänge und die Entwicklung der japanischen Rap-Szene.
Die vermutlich ersten Berührungspunkte mit der in den Staaten entstandenen Hip Hop Kultur erfuhren die Japaner 1983, als der Low-Budget Film WILD STYLE in einigen Kinos von Tokyo Premiere feierte. Der Dokufilm mit Fab 5 Freddy, den Cold Brush Brothers und Grandmaster Flash prägte das Selbstverständnis der noch jungen japanischen Szene maßgeblich und verbreitete Hip Hop im ganzen Land. Breakdance-Künstler wie die legendäre ROCK STEADY CREW kamen im Rahmen der Promotion nach Japan und weckten mit ihren frühen Club-Performances das Interesse der zu diesem Zeitpunkt noch weitgehend unwissenden japanischen Jugend.
Die Oldschool-Ära von Hip Hop in Japan
In den folgenden Jahren entwickelte sich vor allem in Tokyo ein regelrechter Breakdance-Hype. Jeden Sonntag kamen im Yoyogi-Park Tänzer und Musikliebhaber zusammen, um sich gegenseitig zu battlen und die neue Kunstform zu feiern. Aus diesen wöchentlichen Events gingen auch die ersten Artists, DJ’s und Breaker-Crews hervor. Allen voran die japanischen Hip-Hop Pioniere Crazy-A, ECD und DJ Krush. Diese frühe und im wesentlichen vom Breakdance geprägte Phase in den 80ern kann als Old-School-Ära des japanischen Hip Hops bezeichnet werden. Aus dieser Phase gingen dann auch die ersten japanischen DJ’s hervor.
Als 1986 der erste Hip Hop Club in Shibuya seine Pforten öffnete, war die Szene trotzdem noch einigermaßen überschaubar und wurde von der kommerziellen Musikindustrie weitgehend ignoriert. Das änderte sich schlagartig, als zwischen 1994 und 1995 die ersten Rap-Crews ihren kommerziellen Durchbruch feierten und vor allem in der Underground-Szene eine hitzige Debatte über die vermeintliche “Realness” im Rap Game anstießen. Dabei ging es nicht selten um die Frage, ob der japanische Hip Hop eine reine Imitation seiner US-amerikanischen Vorbilder war, oder ob sich ein eigener, japanischer Style herauskristallisiert hatte.
Japanischer Hip Hop auf dem Siegeszug
Spätestens zur Jahrtausendwende etablierte sich der japanischsprachige Rap endgültig zu einem festen Bestandteil der nationalen Musikszene. In einem Interview mit Yo Takatuski für BBC News (2003) teilt der Store Manager Hideaki Tamura von Guiness Records (Shibuya) folgende Beobachtungen:
“Japanischer Hip Hop ist in den letzten zwei bis drei Jahren regelrecht explodiert. Niemals hätte ich gedacht, dass es eine Zeit geben wird, in der sich japanische Platten besser verkaufen als Amerikanische. Ich glaube das Geheimnis dieser Popularität ist, dass der japanische Hip Hop gereift ist. Früher kopierte man hier lediglich den amerikanischen Gangster Rap und rappte über Waffen und Gewalt, was es in Japan nicht wirklich gibt. Heute haben die Künstler realisiert, dass sie eher den Ton der Zuhörer treffen, wenn sie bei der Realität bleiben und über Alltagswelten rappen. Die Leute können sich mit den Texten identifizieren, da sie in ihre eigene Lebenswelt passen”.
Tatsächlich sind japanische Hip Hop Künstler heute beliebt wie nie zuvor. Ob in Tokyo, Osaka oder in der Provinz. In den Bars und Clubs treten jeden Tag japanische Künstler auf, heimische Djs dominieren seit Jahrzehnten das Game, Hip Hop Clubs sind nahezu immer überfüllt und japanische Künstler setzen hier – genau so wie ihre internationalen Gegenspieler – die neusten Trends in Sachen Fashion und Lifestyle.
Der Siegeszug japanischer Popkultur
Diese Trends werden übrigens nicht nur in Japan gesetzt, sondern weltweit. Längst lassen sich die Japaner nicht nur von Amerika und Europa inspirieren und beeinflussen, sondern auch umgekehrt. Die japanische Kultur hat einen immensen Einfluss auf Mode, Kultur, Musik und Lifestyle im Westen gewonnen. In Sachen Fashion und Streetstyle hat Japan sogar seit Jahren eine Vorreiterrolle inne.
Zahlreiche internationale Brands und Labels betreiben einen exklusiven Markt für Japan. Hier findet man viele Kollektionen, bevor sie im ‘Westen überhaupt auf den Markt kommen. Sowohl Fashion-Addicts als auch Vinyl-Liebhaber finden in Japan Raritäten und Schätze, die es sonst auf keinem Fleck der Erde gibt. Japanische Labels wie u.a. das von Nigo gegründete Label A BATHING APE (1993) blicken auf eine Reihe von Kollaborationen mit einflussreichen Künstlern, wie beispielsweise Pharrell Williams, Kanye West, Kid Cudi etc. zurück. Missy Eliott, Rihanna und Lady Gaga sind nur ein Bruchteil der Artists, die in ihren Videos ihrer Begeisterung für japanische Popkultur Ausdruck verleihen.
Japanischer Rap und die Emanzipation von seinem US-amerikanischen Vorbild
Die Wechselwirkung japanischer und westlicher Kultur – insbesondere der Hip Hop Kultur – wird also durch ein Geben und Nehmen geprägt. Ein Blick auf Japans vielfältige und komplexe Hip Hop Geschichte zeigt jedoch, dass man sich lange von den US-amerikanischen Vorbildern emanzipiert hat und eine eigene, japanische Interpretation für das Movement gefunden hat. Spätestens seit der Jahrtausendwende entwickelte sich im japanischen Hip Hop eine Bandbreite unterschiedlicher Substile. Viele Künstler setzen vermehrt auf die Inkorporation traditionell japanischer Musik in ihre Werke. Auch auf inhaltlicher Ebene fungiert der Rap mit all seinen Facetten als Sprachrohr für die Probleme einer Jugend, die vielleicht weniger mit Waffen und Gewalt zu kämpfen hat, dafür aber mit fehlenden beruflichen Perspektiven, einem zunehmenden Generationskonflikt, gnadenlosen Leistungsdruck und einer voranschreitenden gesellschaftlichen Spaltung, die in Japan auch als Kakusa Shakai (Differenzgesellschaft) bezeichnet wird.
Natürlich kann man die umfangreiche und in hohem Maße komplexe Geschichte des japanischen Raps kaum auf einen Blogeintrag reduzieren. Wer von euch also mehr über die Evolution des japanischen Raps erfahren möchte, dem legen wir das Werk Hip Hop Japan: Rap and the Paths of Cultural Globalization von dem US-amerikanischen Anthropologen Ian Condry ans Herz.