Mit einer Reihe talentierter Künstler wie Joji, The Higher Brothers und Rich Brian revolutioniert das junge Hybridlabel 88rising die US-amerikanische Musikbranche und treibt zugleich die asiatische Repräsentation voran.
Millionen Klicks auf YouTube, Spotify-Rekorde, ausverkaufte Tourneen und eine internationale Fanbase, die sich wie ein Lauffeuer auszubreiten scheint: die Rede ist von 88rising, einem Kollektiv aus vorwiegend asiatischen Künstlern, das derzeit alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Der Hype um 88rising begann u.a. mit dem impressiven Trap-Gangsta-Rap-Song Dat $tick von Rich Chigga aus Indonesien. Das Video, in dem der damals 18-Jährige die US-Rap-Kultur und asiatische Nerd-Typen parodiert, verbreitete sich online wie ein Lauffeuer und zog gleich mehrere prominente Reaction-Videos und einen Remix mit u.a. Ghostface Killah nach sich.
88rising macht Platz für asiatische Rapper
Ex-THUMP Redakteur Sean Miyashiro, der selbst japanisch-koreanischer Abstammung ist, fackelte nicht lange und nahm den jungen Künstler mit der tiefen Stimme und dem unverkennbaren Flow unter Vertrag. Zuvor hatte Miyashiro schon den koreanischen Trap-Rapper Keith Ape unter seine Fittiche genommen. Dieser feierte 2015 mit dem Internethit It G Ma seinen internationalen Durchbruch und wurde so gehypt, dass im gleichen Jahr ein offizieller Remix mit A$AP Ferg, Father, Dumbfoundead und Waka Flocka Flame folgte.
Rich Chigga, der sich heute Rich Brian nennt, und Keith Ape sind nicht die einzigen erfolgreichen Artists im Hause 88rising. Auch die vierköpfige Trap-Crew Higher Brothers aus China und u.a. Joji gehören zum Team. Es ist unverkennbar, dass es sich bei 88rising um ein beispielloses Kollektiv an Talenten überwiegend asiatischer Herkunft handelt. Nicht nur promotet das Unternehmen auf diesem Weg asiatische Jugendkultur. Es hat auch einen Markt gefunden, den die großen Mainstream-Medien häufig außen vor liessen.
Die asiatische Community und ihr Streben nach Anerkennung
Im Hip Hop gibt es nur wenig asiatische Künstler, die auf internationaler Ebene einen Durchbruch feiern konnten. Während Breaker seit Jahren weltweit Erfolge feiern, belächelte man asiatische Rapper häufig als Nerds und Wannabe-Gangster. In den USA, wo rund 17 Millionen Asian Americans leben, war es also lange überfällig, asiatische Repräsentation voranzubringen. Das gilt nicht nur für die Hip Hop Industrie. Auch in der Unterhaltungs- und Filmindustrie blieben Asiaten lange Zeit Außenseiter. Seit Jahrzehnten bemängeln Schauspieler asiatischer Herkunft, dass sie in Hollywood quasi unsichtbar sind.
Dass weiße Schauspieler asiatische Figuren spielen, eine Praxis, die “Whitewashing” genannt wird, ist durchaus nicht selten in Hollywood. 2018 brachte in gewisser Weise einen Wandel hervor. Die Komödie Crazy Rich Asians schlug sämtliche Kassenrekorde in den USA und die südkoreanische Boyband BTS erreichte mit ihrem Album Love Yourself – Tear Platz 1 der US-amerikanischen Charts. Für die asiatisch-stämmige Bevölkerung Amerikas war das so etwas wie ein Durchbruch auf dem Weg zu mehr Anerkennung.
“88rising startet eine globale Musikrevolution”, Vice Magazin
88Rising setzt genau hier an und verschmilzt Elemente der asiatischen und westlichen Kultur. Diese Formel ist so erfolgreich, dass das Unternehmen mittlerweile 70 Mitarbeiter (Stand: 2019) und Büros in Manhattan, Shanghai und Los Angeles unterhält. Rich Brian war 2018 der erste Asiate, der mit seinem Debütalbum die iTunes Hip Hop Charts anführte. Joji debütierte mit seinem Album Ballads 1 auf Nr. 1 der Billboard R&B und Hip Hop Charts. Eine Kollaboration mit dem Modegiganten GUESS war nach wenigen Minuten ausverkauft und für 2019 hat 88rising bereits ein Musikfestival in Asien angekündigt.
Statt in etablierten Netzwerken der Musikindustrie zu arbeiten, baut 88rising seinen Einfluss durch die geschickte Nutzung von Social Media auf. Der Mix aus Künstleragentur, YouTube-Kanal, Label, Filmproduktion, PR-Unternehmen und Marke ist in kürzester Zeit zu einer Autorität im Crossover von asiatischer und amerikanischer Popkultur geworden. Dabei verändert das 2015 gegründete Unternehmen die globale Wahrnehmung asiatischer Musiker und schließt dabei Lücken zwischen kreativen Szenen im Osten und Westen.
Asiatische Popkultur – Ein länderübergreifendes Phänomen
Dabei geht es nicht nur um kulturelle Wertschätzung. Asien birgt auch ein beispielloses Potenzial. Nicht nur ist Asien der größte und bevölkerungsreichste Kontinent, hier leben auch die meisten Internetnutzer. Und diese konsumieren heute Filme, Fernsehserien, Popmusik und Mode aus Nachbarländern, mit denen sie mitunter auf politischer Ebene ein eher schwieriges Verhältnis haben. Alleine der Siegeszug von Hallyu – der sogenannten Korean Wave – illustriert, dass länderübergreifende Popkultur auf dem weltweiten Vormarsch ist. Längst hat sich zwischen Tokyo, Seoul, Peking, Taiwan und Jakarta eine Szene gebildet, die technisch und musikalisch den Anschluss an die westliche Welt sucht und nach internationaler Anerkennung strebt.
Dass 88rising Künstlern mit asiatischem Background auf internationaler Ebene mehr Gehör verschafft, stärkt nicht nur die interkulturelle Wertschätzung. Es fördert auch das Selbstwertgefühl von Asiaten weltweit. Wichtig ist, dass hier auch über die Grenzen der eigenen Nationalität geschaut wird. Gründer Sean Miyashiro ist koreanisch-japanischer Abstammung, Keith Ape aus Korea und Rich Brian aus Indonesien. Die Higher Brothers kommen aus China und Joji ist Australier japanischer Abstammung.
Seit geraumer Zeit kollaboriert 88rising auch mit Artists außerhalb der Hip Hop-Szene. Neben dem beim Label gesignten Joji arbeitete das junge Unternehmen auch mit u.a. der koreanischen Indie Band Hyukoh, der Hip-House Künstlerin Yaeji und der britisch-japanischen R’n’B-Sängerin Rina Sawayama. Auf dem Label-Sampler Head in The Clouds sind neben den hauseigenen Artists auch u.a. BlocBoy, JB, Playboi Carti und der Rapper Famous Dex vertreten.
Hier erfahrt ihr, wer derzeit bei 88rising unter Vertrag steht und was die jungen Künstler ausmacht.
Keith Ape – Trap aus Seoul
Mit seinem viralen Trap-Banger It G Ma hat der koreanische Rapper Keith Ape Koreas Underground Hip Hop-Szene 2015 quasi über Nacht auf die Bühne der internationalen Aufmerksamkeit katapultiert. It G Ma – inspiriert von OG Maco’s U Guessed It – ist eine Kollaboration mit Okasian, JayAllDay und den japanischen Rappern KOHH und Loota. Sie verbreitete sich wie ein Lauffeuer und verschaffte dem jungen Artist aus Seoul jede Menge Anerkennung in der US-Hip Hop-Szene. Auf den Song, der 66 Millionen YouTube-Klicks zählt, folgte wenig später ein Remix mit Asap Ferg und Wacka Flocka Flame. Auch Ski Mask The Slump God und der verstorbene XXXTentacion kollaborierten bereits mit dem Rapper, der vor seinem Durchbruch als Teil des koreanischen Kollektivs The Cohort aktiv war. Seine Debut-EP BORN AGAIN ist am 12. Oktober 2018 erschienen und beinhaltet Features von u.a. Wifisfuneral, Chief Keef und Yung Bans. Bild: © Keith Ape
Rich Brian – Das Wunderkind aus Indonesien
Der gerade mal 19 Jahre alte Indonesier Brian Imanuel konnte 2017 mit seinem Track Dat $tick einen äußerst impressiven Durchbruch feiern. In Dat $tick parodiert der schmächtige Teenager die US-Rap-Kultur und asiatische Nerd-Stereotypen. Er rappt dazu in einem rosa Poloshirt und Gürteltasche. Auch das anschließende Reactions-Video von Rappern wie Ghostface Killah, Cam’ron, Flatbush Zombies und Goldlink verhalf der humorvollen Hommage an Gangster Rap zu einem viralen Hit.
Ghostface Killah und Pouya feierten den jungen Artist und droppten gleich einen Remix, der nicht weniger Aufmerksamkeit erlangte. Auch prominente Rapper wie Pharrell Williams und Tyler The Creator priesen das Talent des jungen Asiaten, der seitdem auf dem internationalen Vormarsch ist. Mit seinem Debütalbum Amen hat der aufstrebende Künstler, der bis vor Kurzem noch unter dem kontroversen Namen Rich Chigga unterwegs war, ein musikalisch gereiftes Werk mit prominenten Features wie Offset von Migos auf den Markt gebracht. Bild: © 88rising
Joji – Vom YouTube-Star zum melancholischen Balladensänger
Joji kann man durchaus als Ausnahmetalent bezeichnen – je nach Auslegung versteht sich. Der Halb-Japaner, Halb-Australier war schon vor seinem Wirken als 88rising-Künstler eine bekannte YouTube-Persönlichkeit. Einigen dürfte er noch als Filthy Frank, Pink Guy oder George Miller bekannt sein. Unter diesen Charakteren veröffentlichte der junge Internetstar nämlich bis vor wenigen Jahren noch wahnwitzige Gags, Sketches und geistlose YouTube-Videos. Auch der virale Harlem-Shake geht auf das Konto des Halbjapaners, der sich letztendlich von seinen Youtube-Persönlichkeiten verabschiedete und seitdem als ernstzunehmender Künstler auftritt.
Der neue Joji ist kaum wiederzuerkennen. Nicht nur kann er singen, sondern hat auch ein beispielloses Talent für melancholische Melodien, beeindruckende Visuals und emotionale Lyrics. Seine experimentellen Werke reichen von trap-souligen Nummern bis hin zu introspektiven Pop-Art-Stücken mit Tiefgang. Mit seinem Debütalbum Ballads1, das am 18.10.2018 erschien, landete der Sänger auf Platz 1 der Billboard R&B/Hip Hop Charts. Damit ist Joji der erste in Asien geborene Künstler, der diese Liste anführt. Bild: © Colorsxstudios
Higher Brothers – Die chinesischen Migos
Dzknow, Psy.P, Melo und MaSiWei kommen aus Chengdu in China. Ihren Durchbruch feierte die vierköpfige Crew mit dem Trap-Hit Made in China, der eine selbstironische Hommage an ihr Heimatland darstellt. Der Track, der in Zusammenarbeit mit Famous Dex entstand, ist in kürzester Zeit zu einem viralen Hit geworden und zählt 16 Millionen Klicks auf YouTube – und das auf Chinesisch mit Untertiteln.
Ähnlich wie bei Rich Chigga gibt es auch hier ein prominentes Reaction-Video mit u.a. Playboi Carti, Migos, Lil Yachty und Denzel Curry. Die finden es im Übrigen dope, dass die Crew kulturelle Einflüsse mit aufnimmt. Dadurch wirken die Rapper authentisch, ohne eine bestimmte Rolle spielen zu wollen. Oder wie von Wifisfuneral treffend zusammenfasst: „They’re not trying to be accepted by Hip Hop culture, Hip Hop community or none of that. They just being themselves“ (zu Dt. „Sie versuchen erst gar nicht, von der Hip Hop-Kultur oder von der Hip Hop-Community akzeptiert zu werden. Sie sind einfach nur sie selbst“).
Für ihr lang ersehntes Crossover-Album Five Stars haben sich die Higher Brothers mit einigen namhaften Hip Hop Acts wie u.a. Schoolboy Q, Denzel Curry, Ski Mask the Slump God und Souljah Boy zusammengetan. Bild: © Higher Brothers
Lexie Liu – Young Mulan aus China
Die chinesische Sängerin und Songwriterin Lexiu Liu ist gerade einmal 20 Jahre alt und zählt bei YouTube schon Klicks in Millionenhöhe. Ähnlich wie ihre Inspirationsfigur Mulan hat Lexie Liu sich in einer männerdominierten Industrie bis weit nach vorne gekämpft. Geboren in der Provinz Hunan, genoss die junge Chinesin schon früh eine musikalische Erziehung. 2015 nahm sie an der südkoreanischen Show K-Pop Star 5 teil und kurze Zeit später ging sie mit ihrer Debüt-Single Coco made me do it viral. 2017 war sie die jüngste chinesische Künstlerin, die beim SXSW-Festival auftrat. Nach dem sie 2018 bei der immens populären TV-Show Rap of China teilnahm, unterschrieb sie ihren Vertrag bei 88rising. Ihre erste Veröffentlichung, die multilinguale R&B-Jam Like a Mercedes konnte mit dem dazugehörigen, neongetränkten Cyberpunk-Video jede Menge Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Bild: © Lexie Liu
Dumbfoundead – Der Pionier in asiatischer Repräsentation
Der koreanisch-amerikanische Rapper, Battle-Veteran und Schauspieler Jonathan Dumbfoundead Park, heute “DUMMIE”, ist quasi der Vorreiter asiatischer Repräsentation in der US-amerikanischen Hip Hop Industrie. Geboren in Argentinien und aufgewachsen in Korean Town in Los Angeles, machte sich Dumbfoundead schon früh als begnadeter Battle-Rapper einen Namen in der Szene. In seinen Texten behandelt er Themen wie Immigration, Gesellschaftskritik, Politik, Rassismus und Alltagserfahrungen. Begleitet werden die Werke des Rappers zumeist von beeindruckenden Visuals. Besondere Aufmerksamkeit erlangte der Künstler mit dem Video zu seiner Single Safe. Diese setzt sich auf humorvolle Weise mit dem “Whitewashing” Hollywoods und der mangelnden Repräsentation der asiatisch-amerikanischen Bevölkerung auseinander. Bild: © Dumbfoundead
August 08 – Der K-Town R&B Newcomer
August Grant ist ein afroamerikanischer Songwriter, Musiker und Sänger. Im Business ist er keinesfalls ein Unbekannter. Der Künstler aus Los Angeles machte sich bereits vor seinem Deal mit 88rising als erfolgreicher Songwriter, Arrangeur, Backgroundsänger und Komponist einen Namen. Unter anderem schrieb er an Wale’s Fashion Week und an DJ Khaled’s I’m the One mit, bevor er selbst als Solokünstler debütierte. August 08 ist auf 88rising’s Hit Midsummer Madness zu hören. Seine EP Father ist eine Art Abrechnung mit seinem Vater, zu dem der Sänger eine konfliktreiche Beziehung pflegte. Bild: © 88rising
Niki – Indonesien’s R&B-Prinzessin
Geboren und aufgewachsen in Jakarta, Indonesien kam Nicole Zefanya “Niki” schon früh mit R&B-Künstlern wie Destiny’s Child, TLC und Aaliyah in Berührung. In den späten 90er Jahren veröffentlichte die junge Sängerin Coversongs amerikanischer und britischer Künstler auf ihrem eigenen YouTube-Kanal. Mittlerweile sind die Songs gelöscht, aber Niki’s Musik orientiert sich noch stark an ihren Vorbildern und dem “smooth-as-silk” R&B der 90er Jahre. Am 23. Mai 2018 veröffentlichte Zefanya ihre Debüt-EP Zephyr. Bild: © Niki
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