Im Interview mit xPlicitAsia spricht der Fotograf Gavin Gough über seine Fotokunst, über Inspiration und über Dinge, die ihn seine Begegnungen mit Menschen in Asien gelehrt haben.
Als Reise- und Humanitärfotograf reist Gavin Gough seit Jahrzehnten um die Welt. Für den National Geographic, die New York Times und zahlreiche NGOs hat der Fotograf aus England schon Bilder gemacht. Seit 2008 lebt er in Bangkok und widmet sich vor allem Fotoprojekten in Asien. Seine Bilder sind intensive Begegnungen: Mit den Menschen und den Welten, die er uns durch seinen einfühlsamen Blick näher bringt. Er fotografiert Elend, Naturkatastrophen, soziale Unruhen und auch Leid – und entdeckt darin immer die Würde des Einzelnen und die Menschlichkeit angesichts schwierigster Situationen.
Auch den Alltag von Nomadenstämmen in der vom Tourismus noch weitgehend unberührten Mongolei hat Gavin Gough in seinen Bildern festgehalten. Für dieses Projekt hat der Fotograf längere Zeit mit Nomadenfamilien auf engstem Raum zusammengelebt und auf jeglichen Komfort verzichtet. Herausgekommen ist eine von künstlerischer Qualität herausragende Fotoserie, die seltene Einblicke in das Leben in der mongolischen Steppe erlaubt.
Im Interview mit xPlicitAsia spricht der Fotograf über seine Erfahrungen, über wichtige Lektionen, die er auf seinen Asienreisen gelernt hat und über seine Inspiration.
Gavin, erzähl uns wer du bist, wo du ursprünglich herkommst und wo du zur Zeit lebst?
Ich heiße Gavin Gough und arbeite als freiberuflicher Fotojournalist. Geboren bin ich auf der malerischen Insel Wight an Großbritanniens Südküste. Aufgewachsen bin ich im südlichen Teil Englands, im Laufe meines Lebens habe ich außerdem in Hampshire, Dorset und London gelebt. Seit 2008 lebe ich in Thailands Hauptstadt Bangkok. Thailand ist ein kulturell so vielseitiges Land und ich bin ein großer Fan der authentisch asiatischen Küche. Mit ihrer Anbindung an den Rest Südostasiens und an den indischen Subkontinent, ist die Stadt Bangkok ideal gelegen. Besonders für jemanden, der häufig durch Asien reist, ist Bangkok die perfekte Basis.
Als Editorial-, Humanitär- und Reisefotograf hast du bereits mit zahlreichen NGOs zusammengearbeitet und deine Arbeiten sind in mehreren renommierten Publikationen erschienen. Was hat dich zunächst dazu inspiriert, Fotograf zu werden?
Meine Motivation und Inspiration beruht auf meinem Wunsch die Welt zu bereisen und Unbekanntes zu entdecken. Die Fotografie bietet eine Möglichkeit, meine Erfahrungen festzuhalten und hilft mir, meine Aufmerksamkeit zu bündeln. Fotografen werden wissen, dass wir Menschen dazu neigen, mehr zu bemerken, wenn wir eine Kamera tragen. Der Akt der Fotografie erhöht unsere Aufmerksamkeit. Bewusst oder unbewusst rahmen wir Szenen ein, denken über Perspektiven nach und diskutieren still darüber, wie man Elemente einer Szene zu einem Foto zusammensetzen könnte. Ich genieße diese verbesserte Wahrnehmung, die die Fotografie bietet. Ich denke, es hilft mir, mehr Details in meiner Umgebung wahrzunehmen. Die Steigerung meiner Beobachtungsfähigkeit führt zusätzlich dazu, dass ich mich in eine neue Umgebung besser einfühle und mich selbst in das Geschehen einbringen kann.
Wie würdest du deinen persönlichen Stil definieren und gibt es eine Botschaft, die du mit deiner Fotografie vermitteln möchtest?
Ich bin kein Fan von Wörtern wie “Stil”, “Kategorie” oder “Genre”. Wir sollten so fotografieren, dass wir am effektivsten kommunizieren können. Manchmal erfordert es die Herangehensweise eines Reisefotografen, manchmal eines Fotojournalisten, manchmal eines Straßenfotografen. Ich denke, es wäre ein Fehler, zu versuchen, einen “Stil” für die Art der Arbeit, die ich mache, zu entwickeln. Die Fotografien wirken dann zu konstruiert. Es ist außerdem nicht meine Absicht, eine bestimmte Botschaft zu vermitteln.
Meine Aufgabe ist es, das Wesen einer Situation so zu kommunizieren, dass es für den Betrachter leicht erkennbar und verständlich ist. Wir alle haben unsere eigene Perspektive. Ein Fotograf gestaltet die Dinge so, dass sie zu seiner eigenen Sichtweise passen, das ist unvermeidlich. Vielmehr muss man akzeptieren, dass eine subjektive Verzerrung auch ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit eines Fotografen ist.
Um es mit deinen eigenen Worten auszudrücken: Du dokumentierst Geschichten, die das menschliche Wesen widerspiegeln. Dafür bist du durch die ganze Welt gereist. Welches Projekt hat dich bisher am nachhaltigsten geprägt?
Im Grunde genommen hinterlässt jedes Projekt einen gewissen Eindruck. Ich glaube, dass jeder Fotograf bis zum Abschluss eines Projekts unweigerlich eine persönliche Veränderung durchlebt. Das Fotografieren von politischen Protesten in Thailand über viele Jahre hinweg war faszinierend und gelegentlich erschütternd.
Die für mich tiefgreifendste Erfahrung war allerdings das Erdbeben in Nepal im Jahr 2015. Vor dieser Katastrophe war ich bereits viele Male in Nepal, doch zwei Dinge haben mich noch sehr lange beschäftigt: Erstens, die Trauer darüber, dass so viele Menschen ihre Familien, ihre Häuser, ihren Besitz verloren haben und mit praktisch Nichts zurückgeblieben sind. Zweitens, die unglaubliche Widerstandsfähigkeit der vom Erdbeben betroffenen Bevölkerung. Diese hat mich wirklich zutiefst beeindruckt. Das Wenige, was die Menschen besaßen, wurde miteinander geteilt. Auch in den teils überfüllten und provisorisch aufgestellten Behausungen und Zelten schenkte man sich gegenseitig ein Lächeln oder aufmunternde Worte. Diese Selbstlosigkeit hat mich zutiefst beeindruckt und inspiriert. Sie zeigt, dass Menschen selbst angesichts der schlimmsten Verhältnisse Mitgefühl und Menschlichkeit bewahren können.
Das weckt Hoffnung in einer Zeit, in der zwar alle nach einem bewussten Lifestyle streben, aber nicht mehr dankbar sind für das, was sie haben. Den wahren Wert von Dingen, die wir besitzen oder Menschen, die wir lieben, wissen wir nicht zu schätzen, bis sie uns genommen werden. Muss uns erst so etwas passieren, damit wir diese so wertvolle Lektion lernen?
Im Rahmen deiner Arbeit dokumentierst du aktuelle Themen wie Katastrophenhilfe, Migration und zivile Unruhen. Du hast sicher Schmerzen, Hoffnung, Trauer und Verzweiflung miterlebt. Wie schafft man es, hinter der Kamera ruhig zu bleiben und seine Empathie in schwierigen Situationen zu kontrollieren?
Ich habe unglaublich viel Glück in meinem Leben und versuche das nie zu vergessen. Egal welche Situation ich dokumentiere, früher oder später werde ich gehen und in ein relativ komfortables, sicheres Leben zurückkehren. Um meine Anwesenheit zu rechtfertigen, versuche ich die Geschichten der Menschen mit Ehrlichkeit, Respekt und Integrität zu erzählen.
Während die Situationen, die ich dokumentiere, oft beunruhigend sind, bin ich nur ein Zeuge, ich bin nicht die leidende Person. Ich denke also, es wäre unangebracht von mir, mich auf meine eigene Reaktion zu konzentrieren. Es gibt immer wieder Momente, in denen ich traurig und verärgert über Dinge bin, die ich gesehen habe. Aber ich lege diese Emotionen beiseite, bis ich mit der Arbeit fertig bin. Menschen in herausfordernden Situationen profitieren nicht von einer gefühlsbetonten Stimmung, sie verdienen mein Mitgefühl. Wenn ich an ihrer Stelle wäre, würde ich lieber ein lächelndes Gesicht sehen als ein weiteres mit Tränen in den Augen. Letztendlich ist meine emotionale Reaktion nicht relevant, außer wie sie meine Fotografie beeinflusst.
In deiner Fotoserie Nomadic Life in Mongolia dokumentierst du nomadische Gemeinschaften in weitgehend isolierten Regionen der Mongolei. Was hat dich in die Mongolei geführt, ein Land, das vom Massentourismus weitgehend unberührt ist?
Solch Orte wie die mongolische Steppe, die vom Tourismus noch fast unberührt geblieben ist, gibt es kaum noch auf der Welt. Gemeinsam mit einer nomadischen Familie wollte ich meine Zeit in der Mongolei ohne jeglichen Komfort verbringen. Eine authentische Erfahrung war mir wichtig und das ist tatsächlich, was ich bekam. Ich schlief, aß und reiste mit der Familie und sie adoptierten mich buchstäblich wie einen Bruder. Wir haben eine Bindung aufgebaut, die meiner Meinung nicht möglich gewesen wäre, wenn ich ihren Alltag nicht über einen gewissen Zeitraum miterlebt hätte.
Was hat dich dazu inspiriert, das Leben von Hirten und Nomaden zu porträtieren? Wie bist du auf sie zugegangen und wie hast du mit ihnen interagiert?
Meine Intention war es zunächst einmal als ein Teil der Familie zu leben. Bevor ich mit dem Fotografieren begann, musste ich erst einmal ihren Alltag kennenlernen und miterleben. Es hat so viel Wert, Zeit mit Menschen zu verbringen, besonders in dieser Situation. Bei einem kurzen Besuch für ein paar Tage wäre meine Erfahrung oberflächlicher gewesen. Ich glaube, dass die so entstandenen Fotos das widergespiegelt hätten. Die Familie behandelte mich eher wie einen besuchenden Verwandten, als einen fremden Fotografen. Für das daraus resultierende Ergebnis ist das, denke ich, kein schlechter Maßstab.
Was waren einige deiner schönsten oder überraschendsten Erinnerungen an das Land? Was war der schwierigste Teil eurer Reise?
Zweifellos die grosszügige Gastfreundschaft aller Menschen, die ich getroffen habe. Besonders die Herzlichkeit der Familie, bei der ich lebte, wird in meinen Gedanken bleiben. Dieses Erlebnis war körperlich ausgesprochen herausfordernd. In dieser Umgebung gibt es wirklich keinen modernen Komfort wie Toilettenanlagen, Waschräume oder Duschen. Alles im Leben der Nomaden muss einen Zweck haben. Mehrmals im Jahr wird alles zusammengepackt und an andere Orte gebracht. Dafür legen die Menschen und Tiere weite Strecken zurück. Dementsprechend gibt es keinen Platz für lästigen Luxus wie Betten und Bettwäsche. Die Familie schläft auf erhöhten Plattformen in den Jurten (Zelten) und es gibt keine Rücksicht auf Privatsphäre.
Trotzdem hat es etwas sehr Befreiendes, sein Hab und Gut auf das Wesentliche zu reduzieren. Ich dachte, ich sei ziemlich minimalistisch, bevor ich mit den mongolischen Nomaden zusammenlebte. Sie haben mir jedoch wirklich beigebracht, wie man die Dinge auf das absolut Wesentliche reduziert. Das war eine nützliche Lektion. Wenn ich jemals den Eindruck habe, dass ich einen Besitz übermäßigen Wert beimesse, werde ich mich fragen, was meine mongolischen Freunde davon halten würden. In der Zukunft hilft mir diese Erfahrung, eher zu entscheiden, was der wahre Wert von Dingen ist. Auch habe ich gelernt, äußere Gegebenheiten hinzunehmen, mich nicht zu beklagen und mich selbst nicht zu wichtig zu nehmen.
Geboren in Großbritannien, hast du in verschiedenen Ländern gelebt und bist derzeit zwischen Bangkok und Wien ansässig. Wir fragen uns, was deine Lieblingsplätze sowohl zum Reisen als auch zum Fotografieren sind?
Ich habe wirklich keinen anderen Lieblingsort als den, an dem ich mich gerade befinde. An allen Orten, die ich besucht habe, habe ich gerne gearbeitet. Darüber hinaus betrachte ich es als ein enormes Privileg, so viele Länder zu bereisen. Insofern versuche ich, das Beste aus jeder Gelegenheit zu machen.
Auf meinen Reisen habe ich gelernt, dass Menschen in allen Teilen der Welt fast immer einladend, gastfreundlich und wirklich neugierig sind. Wir haben so viel gemeinsam. Ob ich nun in England, Österreich, Thailand, Nepal, der Mongolei oder anderswo bin. Wir alle geben unser Bestes, um ein sinnvolles Leben zu führen, ein Zuhause zu bauen und unsere Kinder großzuziehen. Eigentlich scheint es so offensichtlich. Unsere Vorstellungen, dass wir uns durch unsere Überzeugungen, Alter, Geschlecht, Reichtum oder die Farbe unserer Haut unterscheiden, sind oberflächlich. Wenn wir uns auf diese Aspekte konzentrieren, begrenzen wir unsere Möglichkeiten, wertvolle Lektionen voneinander zu lernen.
Gibt es Künstler – egal aus welchem Bereich -, die dich in deiner fotografischen Arbeit und Kreativität inspirieren?
Ja, viele. Meistens inspiriert mich jeder, der eine Kamera in die Hand nimmt und sie benutzt, um seine Sicht auf die Welt ehrlich zu teilen. Einige der bekannteren Fotografen, die mich inspirieren, sind der National Geographic Fotograf William Albert Allard, von dem ich viel gelernt habe. Seine Retrospektive Five Decades ist nie weit von meinem Schreibtisch entfernt. Don McCullin ist ein Fotograf, der mich seit vielen Jahren inspiriert. Seine Arbeiten sind oft dunkel, sowohl wörtlich als auch im übertragenen Sinne. Jedoch steckt eine unausweichliche Wahrheit dahinter, die mich wirklich fasziniert.
Ebenso die fotografischen Arbeiten von James Nachtweys. Durch seine zielstrebige Entschlossenheit entstehen Bilder, die wirklich einen Unterschied im Leben der Menschen machen. Es gibt zudem viele Schriftsteller und Musiker, die ich bewundere. Nicht nur für ihre Arbeit, sondern auch für die Art und Weise, wie sie ihre Kunst angehen. Im Grunde genommen verdient jedes künstlerische Vorhaben, das mit dem Wunsch angegangen wird, den menschlichen Zustand mit Integrität darzustellen, Aufmerksamkeit.
Hast du irgendwelche bevorstehenden Projekte oder Ausstellungen, auf die die Leute aufmerksam werden sollen?
Ich arbeite immer an etwas und habe Pläne für Workshops und Bücher in der Zukunft, ebenso wie für meine laufende Fotoarbeit. Jeder, der als Erster über neue Projekte informiert werden möchte, kann meinen sehr unregelmäßigen Newsletter abonnieren.
Gavin Gough
Webseite: www.gavingough.com
Twitter: @gavingough
Instagram: @gavingough